
Es fährt ein Rad ins Nirgendwo - auf der Magdeburger Chaussee enden Rad- und Fußweg auf Höhe An der Saalebahn abrupt. Radfahrende fahren lieber in die Grünfläche als auf die Fahrbahn. © ADFC Halle-Saalekreis
Kommentar zur Radverkehrsinfrastruktur in Halle (Saale)
Willkür und Etikettenschwindel in der Stadtverwaltung – Stadtratsbeschlüsse werden ignoriert und zu Ungunsten des Radverkehrs verfälscht – Radwege bleiben marode – aktuelle Struktur schürt Konflikte
Am 30.05.2018 hatte der Stadtrat in Halle (Saale) beschlossen, dass 15 Prozent der Unterhaltsmittel für Verkehrsanlagen für die Sanierung von Radverkehrsanlagen verwendet werden sollten. Das entspräche ungefähr der Höhe des Anteils des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen in der Stadt.
Die Entscheidung war nur recht und billig, denn viele Radwege in Halle befinden sich in einem maroden Zustand und wurden zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr unterhalten. Über Jahre hatte die Verwaltung nichts zur Verbesserung unternommen und Befragungen ihrer Bürger:innen zum Zustand der Radwege ignoriert. Immer wieder tragen die vielen Mängel auf Radverkehrsanlagen, wie zu schmale Wege, Wurzelaufbrüche, Längsrillen, schlecht sichtbare Sperrpfosten, Masten und Kanten im Radweg, fehlende oder verblasste Furtmarkierungen, zu Unfällen bei. Viele dieser Unfälle, ca. 80 Prozent der Alleinunfälle, werden nie bekannt, wie im Dezember 2024 eine Studie der GDV, der Unfallforschung der Unfallversicherer, aufgezeigt hat.
Im Jahr 2018 wurde der Stadt in einem Urteil zur Magdeburger Straße vom Verwaltungsgericht Halle attestiert, dass die Radwege „nicht dem Stand der Technik“ entsprechen. In der Konsequenz musste sie die Radwegebenutzungspflicht aufheben und Zehntausende Euro für eine Neuprogrammierung der Ampellaufzeiten aufwenden. Radfahrende haben auf vielen Strecken demnach das Recht, die Fahrbahn zu nutzen – werden dort aber von Kfz-Fahrenden bedrängt und genötigt. Eine Ausweisung der Fahrbahnmischnutzung mittels Fahrradpiktogrammen wäre hier wie andernorts eine sehr günstige Interimslösung und wirksame Verdeutlichung des Status Quo.
All das hat die Stadtverwaltung in den letzten sieben Jahren ignoriert. In keinem Jahr hat sie auch nur annährend den Beschluss ihres Stadtrates umgesetzt. Dabei zeigen die wenigen Ausnahmen, z. B. in der Paracelsusstraße, dass sich mit vergleichsweise wenig Geld in kurzer Zeit erhebliche Verbesserungen erreichen lassen, wenn das gewollt ist. Der Eigenmitteleinsatz kann sogar auf zehn Prozent der Gesamtkosten reduziert werden, wie ein Beispiel aus dem Böllberger Weg zeigt.
In einer „Übersicht zur Verwendung von Mitteln für die Instandhaltung von Straßen, Wegen und Plätzen in den Jahren 2023 und 2024“ des Fachbereichs Mobilität vom 11.11.2025 versucht die Stadtverwaltung nun, durch einen Taschenspielertrick die diesbezüglichen Rückfragen im Stadtrat abzuwehren. Sie definiert den Begriff Radverkehrsanlage kurzerhand Halle-spezifisch um. Plötzlich werden auch Fahrbahnen zu Radverkehrsanlagen und willkürliche 20 Prozent der Unterhaltsmittel, die zur Sanierung von Fahrbahnen aufgewendet wurden, dem Radverkehr zugeordnet. Dies widerspricht sämtlichen Definitionen einer Radverkehrsanlage in der Straßenverkehrsordnung und anderen Regelwerken der Verkehrsplanung. Fahrbahnen, die dem Mischverkehr dienen, werden dort ausdrücklich nicht den Radverkehrsanlagen zugeordnet. Diese Halle-spezifische Neudefinition ist ohne Beispiel und dient einzig der Verschleierung und Rechtfertigung einer jahrelangen Untätigkeit und Missachtung des Stadtratsbeschlusses aus dem Jahr 2018.
Zudem verfälscht diese willkürliche Umdeutung auch die Intention des Stadtrates. Dieser hatte mit seinem Beschluss die vielen maroden Radwege und die fast ausschließliche Verwendung der Unterhaltsmittel für die Fahrbahnen im Blick. Für die Zukunft wollte er eine gerechtere Verteilung der Mittel sicherstellen.
In der völlig intransparenten Informationsvorlage wird jetzt für die Jahre 2023 und 2024 die im Jahre 2018 vorgegebene Quote als übererfüllt schöngerechnet. Es findet nicht nur eine Begriffsverfälschung statt, diese Neuberechnung ist ein Offenbarungseid, grotesk und zynisch.
Die Unterhaltsmittel werden auch für Straßen angerechnet, die Radfahrende am liebsten meiden würden und wenn, dann nur zwangsweise nutzen, weil einfach keine Alternativen bestehen.
Es gibt zum Beispiel wenige Radfahrende, die auf der Straße „An der Feuerwache“ in Halle-Neustadt, stadteinwärts zweispurig, fuß- und radweglos, mit dem Rad fahren wollen. Noch weniger Eltern werden dort ihre Kinder mit dem Rad auf den Weg zur Schule schicken. Trotzdem sollen jetzt 283.000 Euro einer Sanierungsmaßnahme der Fahrbahnen auch dem Radverkehr zugordnet werden. Gänzlich absurd wird das auch deshalb, weil der Stadtrat bereits 2022 beschlossen hatte, dort eine Radverkehrsanlage einzurichten. Auch diesen Beschluss hat die Verwaltung ignoriert. Diese Untätigkeit soll jetzt dem Radverkehr auch noch in Rechnung gestellt werden.
Gleichsam ignoriert hat die Verwaltung einen von einer breiten Mehrheit getragenen Stadtratsbeschluss vom 18.12.2024. Demnach soll in der Magdeburger Chaussee ein Radweg geplant werden. Auf der vielfrequentierten Ausfallstraße Richtung Morl ist das Radfahren auch eine Zumutung. Laut Aussagen der Stadtverwaltung in der MZ vom 15.12.2025 gab es in dem Jahr seit dem Beschluss keine Aktivität.
Ob auch die Aufwendungen auf den Fahrbahnen von ca. 50 Straßen, auf denen Radfahren mittels Radwegebenutzungspflicht verboten ist, eingerechnet werden, wird aus der Übersicht der Stadtverwaltung nicht klar.
Auf der anderen Seite werden Fahrbahnen, die für den Radverkehr relevant sind, vernachlässigt. Seit Jahren sind in der Geiststraße, einer Hauptroute des Radverkehrs, Betonsteine entlang der Schiene locker. Trotz mehrfacher Hinweise, auch im Stadtrat, unterlässt die Stadtverwaltung die Sanierung dieser Gefahrenstelle. Radfahrende müssen dort die Schienen queren und geraten auf rutschende Steine.
Am 18.12.2025 machte der Fachbereich Mobilität in der Mitteldeutschen Zeitung ein Schadensregister für Straßen öffentlich. Von einem Register für Radverkehrsanlagen ist nicht die Rede, obwohl viele Radwege in Halle in einem deutlich schlechteren Zustand sind als die daneben liegenden Fahrbahnen. Der ADFC hat der Stadtverwaltung bereits vor Jahren eine umfangreiche Fotodokumentation von Mängeln übergeben.
In den Beratungen zum „Ganzheitlichen Mobilitätsgesetz“, das am 24.04.2025 beschlossen wurde, hatte sich die Verwaltung noch für eine verstärkte Förderung des Radverkehrs in Halle ausgesprochen. Die aktuelle Praxis bei Verwendung der Unterhaltsmittel und die Begriffsumdeutung weisen auf das Gegenteil hin.
Der ADFC fordert deshalb den Stadtrat auf, der Missachtung seiner Beschlüsse nicht weiter tatenlos zuzusehen. Denn so wird die demokratische Willensbildung in der Stadtgesellschaft und die Legitimität des Stadtrats von der eigenen Verwaltung in Frage gestellt. Wichtige Verbesserungen für den Radverkehr und für die Verkehrssicherheit sind trotz klarer Aufträge des Stadtrates unterblieben und werden, so steht zu befürchten, bei Fortführung dieser Praxis auch in Zukunft unterbleiben.
Der ADFC hofft zudem darauf, dass Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt sein Wahlkampfversprechen einhält und seine Verwaltung dazu anhält, „die im Haushalt vorgesehenen Mittel für Radwegesanierung und Fahrradabstellanlagen konsequent für die Radinfrastruktur einzusetzen.“
Volker Preibisch
für den ADFC Halle (Saale)




